Lawine Surselva


13.02.2013

"Zum Zeitpunkt des Lawinenabgangs herrschte Warnstufe 3. Der Ort des Abgangs war wenige Meter unter dem Gipfel, der erste steile Hang.  Etwa eine ½ Stunde vorher war eine Vierergruppe einzeln in den Hang eingefahren.  Zudem befanden sich 2 bis 3 Skispuren, vermutlich vom Vortag, in dem Hang. Wir entschieden uns ebenfalls  einzeln in den Hang einzufahren. Es wären etwa 3-4 Schwünge im Hang gewesen, um dann wieder mit einer weiten Kurve auf den sicheren Rücken zurückzukehren. Ich machte den Anfang. Ich wollte mich nahe an den Spuren der Vorgruppe halten, musste aber durch einen kleinen Fahrfehler doch weiter in den noch unverspurten Schnee ausholen. Dabei kam es zum Anriss. Ich habe keinen Laut wahrgenommen. Ich bemerkte dass etwas nicht stimmt, sah dann den Anriss, die Schollen und dass der Hang sich in Bewegung gesetzt hatte. Ich dachte „Mist - Lawine“ und bemerkte, dass ich das Gleichgewicht verlor.

Das nächste woran ich mich erinnere war der Auslösegriff in Großaufnahme und der Gedanke “Los jetzt ziehen“.  Seit ich mit dem ABS® unterwegs bin hatte ich mir immer die Frage gestellt, ob ich den Griff im Ernstfall auch sofort finden würde. Jetzt war es kein Problem. Auch nicht mit den dickeren Ski-Fingerhandschuhen, die ich immer bei der Abfahrt trage. Während ich vom Schnee mitgerissen wurde hörte ich, wie sich die ABS®-Ballons aufbliesen. Ich lag während des ganzen Abgangs auf dem Rücken, wurde allerdings einmal um die Längsachse gedreht. Auch bekam ich einmal einen Schwung Schnee ins Gesicht und den Mund, war allerdings nie vom Schnee bedeckt. Ich lag immer obenauf. Es war mir klar, dass es nach unten geht, hatte allerdings kein klares Gefühl für meine Lage. Ich hatte auch kein Zeitgefühl. Die Zeit in der sich bewegenden Lawine kam mir sehr lang vor und ich dachte mir:

 „Hoffentlich bleibt sie stehen, bevor es erneut steil wird“. Das tat sie dann zum Glück auch. An ein Ziehen am Bauchgurt bei der Öffnung der Ballons kann ich mich nicht erinnern. Den schmalen Gurt im Schritt hatte ich nicht angelegt.

Beim Stillstand der Lawine lag ich unverletzt auf dem Kegel. Einen Ski hatte ich verloren, den ich auch nicht mehr fand. Ein Ski war noch am Fuß. Die Bindung ließ sich gut öffnen und nach kurzem Graben mit den Händen hatte ich den Ski frei. Beide Stöcke hatte ich noch an den Handschlaufen. Ich gab meinen Kameraden Zeichen, dass ich unverletzt war. Sie blieben dann auch im sicheren Gelände und beobachteten mich.

Psychisch fühlte ich mich nach dem Lawinenabgang erstaunlich gut und klar. Um in sicheres Gelände zu meinen Kameraden zu kommen musste ich einen Teil der Lawinenbahn wieder aufsteigen und mich zum Schluss durch Tiefschnee kämpfen. Dabei hatte ich Angst, ich könnte erneut ein Brett auslösen, was aber zum Glück nicht geschah.

Da ich unverletzt und psychisch stabil war, entschied ich mich keinen Notruf abzusetzen, sondern auf einem Ski abzufahren. Im Tal verständigten wir telefonisch einen ansässigen Bergführer über den Lawinenabgang, damit nicht durch Dritte eine Rettungsaktion in Gang gesetzt würde."

T.S.

Foto: Tegan Mierle