Lawinenunfall Zürs am Arlberg


06.01.2013

"Die Lawine ereignete sich am Arlberg im Westen Österreichs im Vorarlberger Teil, zwischen den Orten Zürs und Lech unterhalb des Omeshorns. Wir waren zu Dritt unterwegs, ich der Einzige mit einem ABS® Rucksack. Ich fuhr als Erster in den Hang und wurde als Einziger erfasst und blieb im Großen und Ganzen unverletzt. 

Der Lawinenlagebericht Tirol verkündete die Gefahrenstufe 3 bis 500m hinab, aufgrund von Regen knapp 2 Tage zuvor, erhöhten Temperaturen und Neuschnee von 10-20cm am vorherigen Abend/Nacht. Der Lawinenlagebericht Vorarlberg sagte dagegen eineGefahrenstufe von 3 oberhalb 2300m und 2 unterhalb 2300m voraus (beide Berichte alle Expositionen gleich). Anstatt aufgrund der Grenzregion den ungünstigeren Bericht zu Rate zu ziehen entschieden wir uns für eine Route unterhalb des Omeshorns nordöstlicher Exposition mit steiler Neigung, die bei günstigeren Bedingungen (einer „realen“ Lawinenstufe 2) der Reduktionsmethode (Werner Munter, SLF) nach befahrbar gewesen wäre (unterhalb der kritischen Höhe, kleine Gruppe, nur einzeln im Hang).

Wir fuhren bis zu der Stelle über dem Steilhang, an der wir einfahren wollten. Der Schnee stellte sich als feucht und schwer heraus. An der Stelle der Einfahrt stellten wir fest, dass der Hang steiler als erwartet war. Obwohl ich es besser gewusst habe und obwohl ich „normalerweise“ diesen Hang in dieser Konstellation nie befahren hätte, fuhr ich als erster (und einziger mit einem ABS® Rucksack) in den Hang ein, um auf einem vermeintlichen Safe Spot (einer Kuppe) Ausschau zu halten.

In diesem Moment löste sich unter und über mir ein Schneebrett. Sofort zog ich am Auslösegriff meines ABS® Rucksacks, der sich gefühlt langsam aufblähte, während ich schon den Hang hinabrutschte/-stürzte und vom Schnee begraben wurde. Da ich meine Stöcke beim Freeriden nie in den Schlaufen habe, waren diese sofort weg. Für einige Sekunden rutschte ich gefühlt unterhalb der Schneeoberfläche und versuchte mit meinen Händen eine Atemhöhle freizuhalten. Die Ski waren zu diesem Zeitpunkt wohl schon weg. Es gelang mir aber nicht den Schnee von meinem Gesicht fernzuhalten, da der Schnee von allen Seiten kam und ich schießlich auch Schnee im Mund hatte. Dabei dachte ich für einige Momente, dass ich gleich ersticken würde. Ich hatte in diesen Momenten auch keine Chance den Schnee auszuspucken, geschweige denn neue Luft zu schnappen. Auf einmal jedoch spürte ich wie ich an die Oberfläche kam und schaufelte mich mit aller Gewalt weiter hoch bis ich an der Oberfläche war.

Am Ende rutschte ich auf dem Hintern mit den Beinen im Schnee begraben noch einige Meter und schaufelte mit aller Gewalt weiter um nicht wieder zu versinken oder vorne rüberzukippen und auf dem Gesicht zu landen (denn ich hatte das Gefühl, dass dies geschehen könnte). Dann blieb ich stehen und konnte nach etwa 200m (vielleicht auch mehr?) Sturz/Rutscheinfach Aufstehen ohne mich freischaufeln zu müssen. Während des Abrutschens verharrte ich im Grunde die ganze Zeit in einer Sitzposition mit dem Gesicht hangabwärts.

Als ich zum Stehen kam, sahen die Luftsäcke des ABS® Rucksackes so aus, als hätten sie leicht Luft gelassen, schienen aber noch intakt. Mein Freund kam mit seinem Snowboard zu mir herunter und holte mir meinen Ski. Da ich außer einer schmerzenden Hand keine großen Verletzungen hatte und keine weitere Gefahr für mich sah, zückte ich sofort mein Handy und rief die dritte Person, die noch oben in Sicherheit war, mit dem Handy an. Ich forderte sie auf, sofort das flache Stück über dem Steilhang zurück hochzuwandern und ins gesicherte Skigebiet zurückzukehren, um einen weiteren Abriss oder Sturz im steilen Gelände auf der harten Fläche, die die Lawine zurückgelassen hatte, zu vermeiden. Während ich mich zur Ausfahrt aus dem Lawinenkegel sammelte, hielt ich die ganze Zeit Telefonkontakt mit ihr, um ihre Sicherheit zu gewährleisten (kein Sichtkontakt mehr).

Ein Rettungshubschrauber war keine zwei Minuten nach Lawinenabgang über uns, den wir aber mit einem mit den Armen geformten NO-Zeichen abdrehen ließen, da keine Gefahr mehr bestand und alle unverletzt waren. Letztlich fuhren wir beide ab ins Tal und die dritte Person (meine Freundin) lief zurück ins gesicherte Skigebiet und fuhr zur Talstation herunter. Ich zog mir ein paar Kratzer im Gesicht, einen leichten Haarriss im Mittelhandknochen und eine Überdehnung (?) des linken Knies zu. Meine Skibrille ist während des Lawinenabganges irgendwann verloren gegangen, hatte bis dahin aber mein Gesicht teilweise geschützt.

Der Grund für den Lawinenunfall ist in meinen Augen hauptsächlich unser eigenes menschliches Versagen, aufgrund einer zu optimistischen Einschätzung der Lawinensituation, dem Ausreizen der Grenzen des Lawinenlageberichts und einer ungesunden Gruppendynamik zwischen mir und meinem Freund in diesem Moment. Wir hätten wissen müssen, dass der kritische Hangabschnitt sehr stark im Grenzbereich des Möglichen lag (über 40° steil) und das die Lawinensituation eher einer Gefahrenstufe von 3 als 2 entsprach, auch wenn der LLB günstiger erschien, zumal der kritische Hang im Grenzbereich der Gefahrenstufen des LLBs lag. Es war der erste Schönwettertag nach vielen Tagen voller Nebel und es war unser letzter Tag für diese Skiwoche, sowie das erste Mal seit längerer Zeit, dass wir zusammen Freeriden konnten. Dementsprechend suchten wir ein Highlight und ließen uns dabei von der realen Situation vor Ort ablenken. Ich bin „normalerweise“ ein defensiver, rationaler Freerider. Oftmals auch mangels Alternative alleine unterwegs, aber immer nur verträglich mit der aktuellen Mischung aus Lawinenlagebericht und Beobachtung und immer bereit zu verzichten, um unnötigem Risiko zu entgehen. Dieses Mal ließ ich mich auf eine spannende aber für die gegebene Situation zu gefährliche Route ein, um nicht als Spaßverderber dazustehen. Dies ist der eigentliche Fehler gewesen. Ich hätte NEIN sagen müssen. Trotzdem trifft meinen Freund keine Schuld, zumindest nicht mehr als mich, denn ich habe eben nicht nein gesagt.

Das für mich Schlimmste an der Situation ist, dass ich nicht die Courage hatte zu widersprechen und die Tour abzubrechen und so uns drei zu schützen. Stattdessen verfolgte ich selbstsüchtige Ziele, wie mir und den anderen etwas zu beweisen und nicht als übervorsichtiger Spaßverderber dazustehen. Gott sei Dank hatte ich einen ABS Rucksack und bin als Erster in den Hang eingefahren. Der Rucksack hat in meinen Augen mein Leben gerettet, aber da ich nicht in derselben Lawine ohne Rucksack steckte, kann ich das natürlich nicht einwandfrei beweisen."

Foto: Tegan Mierle